30 Aug2018
Veröffentlicht in Weitere Veranstaltungen
Interview mit der Olympiasiegerin Ingrid Mickler-Becker über Fair Play, Lernen im Sport und die 68er-Bewegung
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Ingrid Mickler-Becker (2.v.r.) beim Treffen der Medaillengewinner/innen von 1968 in Berlin. |
Die frühere Leichtathletin Ingrid Mickler-Becker nahm an vier Olympischen Spielen teil: in Rom 1960, Tokio 1964, Mexico City 1968 und in München 1972. Zweimal gewann sie Gold, im Fünfkampf in Mexico City und als Mitglied der 4-x-100-Meter-Staffel in München. Bei der Wiedersehensfeier der Medaillengewinner/innen der Olympischen Spiele 1968 in Grenoble und Mexiko City im Rahmen der Leichtathletik-EM in Berlin entstand das folgende Interview. Das Gespräch führten Ulrike Spitz (DOSB) und Michael Röbel (Deutsche Olympische Akademie).
Frau Mickler-Becker, Sie waren 1968 Olympiasiegerin im Fünfkampf. Welche Erinnerungen haben Sie denn noch an die Spiele?
INGRID MICKLER-BECKER: Ich denke vor allem daran zurück, dass ich meine Medaillen eigentlich anderen zu verdanken habe. Ich habe so ein Trauma: Ich durfte als Kind nicht barfuß laufen, weil wir zeigen mussten, dass wir Schuhe hatten. Die anderen kamen barfuß in die Schule, weil sie eben keine hatten. Sobald ich aus dem Sichtfeld von Zuhause war, habe ich die Schuhe ausgezogen und bin barfuß gelaufen. In Mexiko hatten wir dann so Holzlatschen bekommen, die waren meine Lieblinge. Die habe ich immer getragen, da konnte man schnell rausschlüpfen und barfuß laufen. Ich bin dann auch in diesen Holzlatschen ins Stadion gegangen. Zum Hürdenlauf trug ich meine Spikes, dann gingen wir zum Kugelstoßen. Und da stellte ich fest, dass ich nur die Spikes dabei hatte. Normalerweise bin ich immer mit Turnschuhen ins Stadion gegangen, dieses Mal halt in den Holzlatschen. Ich bin barfuß in den Ring gegangen zum Einstoßen, da kommt der Kampfrichter und sagt: ‚Das geht nicht, das ist keine ordentliche Wettkampfkleidung‛. Ich sagte, ich hätte keine Schuhe dabei, aber das hat nichts geholfen, mir wurde offiziell gesagt, dass ich barfuß nicht stoßen darf. Ich saß dann ziemlich traurig da, dann kam eine russische Athletin, meine härteste Konkurrentin, und fragte: ‚Was ist, Ingrid?‛ Ich habe es ihr gesagt, da ist sie mit der Liese Prokop aus Österreich los (die dann Zweite wurde), und die beiden haben bei den anderen Schuhe gesammelt und geschaut, welche mir passen. Es war ein ständiges Rumgewechsele, weil die anderen ihre Schuhe ja auch brauchten, aber es ging. Ich habe also den anderen zu verdanken, dass ich überhaupt weiter starten konnte. Das würde doch heute keiner mehr machen.
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